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Interview mit Helmut Knauer

Von Helmut Knauer, Natura-2000-Gebietsbetreuer am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg


Helmut Knauer
Helmut Knauer

Herr Knauer, Sie sind Natura-2000-Gebietsbetreuer am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg. Was ist ein Natura-2000-Gebiet und welche Aufgaben hat der jeweilige Gebietsbetreuer?

Der Schutz von Natura-2000-Gebieten basiert auf einer EU-Richtlinie, der Flora-Fauna-Habitat-(FFH-)Richtlinie. Alle EU-Mitgliedsstaaten sind demnach dazu verpflichtet, bestimmte Flächen als Natura-2000-Gebiete auszuweisen. In diesen Gebieten müssen schützenswerte Arten und Lebensräume erhalten und gefördert werden. In der Stadt und in den Landkreisen München und Ebersberg gibt es insgesamt 16 Natura-2000-Gebiete. Wir teilen uns die Betreuung dieser Gebiete: Die Unteren Naturschutzbehörden sind für das Offenland zuständig, das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg für den Wald.

Meine Aufgabe ist es, in den 16 Gebieten zu kontrollieren, ob das Verschlechterungsgebot eingehalten wird und zwar ganz unabhängig davon, ob ein Managementplan für das jeweilige Gebiet vorhanden ist oder nicht. Ich sorge auch dafür, dass vor Eingriffen so genannte Verträglichkeitsabschätzungen und falls erforderlich Verträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden. Zudem ergreifen wir Gebietsbetreuer konkrete Maßnahmen, um die Lebensbedingungen bestimmter Arten zu verbessern. Eine zentrale Aufgabe ist aber auch die in-Kraft-Setzung von Managementplänen für die FHH Gebiete unter Einbeziehung aller Beteiligten.

Das Natura-2000-Gebiet „Oberes Isartal“ fällt in Ihren Aufgabenbereich. Aktuell wird ein Managementplan für dieses Gebiet erarbeitet. Welche Erhaltungsziele – also Ziele für die Sicherung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Lebensräume und Arten – sind für das obere Isartal festgelegt?

Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten, weil das obere Isartal so vielschichtig ist. Es wurden 21 verschiedene Lebensraumtypen kartiert und für jeden dieser Lebensraumtypen wurden bestimmte Ziele festgelegt und Maßnahmen beschlossen. Es würde zu weit führen, die alle anzuführen. Im Wald konzentrieren wir uns vor allem auf die Erhaltung der Weichholz-Auwälder, der Schlucht und Hangwälder sowie der Waldmeister- und Orchideen-Buchenwälder.

Sind diese Erhaltungsziele aus Ihrer Sicht durch die Freizeitnutzung, insbesondere das Mountainbiking, im Isartal gefährdet?

Bestimmte Arten und Lebensraumtypen sind tatsächlich durch die Freizeitnutzung gefährdet. Zum einen werden einzelne Tiere oder Pflanzen zertreten oder überfahren. Im Normalfall kann die Natur diese Verluste jedoch verkraften. Im Gegensatz dazu ist die ständige Störung auf der ganzen Fläche – auch in der Nacht – ein großes Problem. Viele Arten finden keine Rückzugsräume mehr, ihre Vermehrungsrate nimmt ab. Leider liegen uns aber keine exakten Zahlen dazu vor. Wir haben zwar die Bestände bestimmter Arten kartiert, aber es gibt keine aktuelle Folgekartierung.

Ein anderes Problem ist die Bodenverdichtung, die durch das ständige Befahren eines immer größer und breiter werdenden Wegenetzes stattfindet. Dadurch kann sich der Wald nicht mehr verjüngen. Öfter wird auch angeführt, dass Buchen über beschädigte Wurzeln mit Pilzen infiziert werden und dadurch früher absterben. In Einzelfällen mag dies der Fall sein, aber ich halte dieses Problem im oberen Isartal derzeit für nicht signifikant. Zusammengefasst heißt das: Mountainbiker stellen meiner Meinung nach für den bestehenden Baumbestand kein Problem dar, für die zukünftige Generation des Waldes jedoch schon.

Wie würden Sie eine Mountainbikerin oder einen Mountainbiker davon überzeugen, einen bestimmten Weg nicht zu befahren, um zu vermeiden, dass der Boden verdichtet und Baumwurzeln beschädigt werden, wenn gleichzeitig im Isartal Forstwirtschaft betrieben wird?

Wir müssen grundsätzlich unterscheiden: Bei einem Mountainbiker handelt es sich um einen Nutzer, der auf fremdem Grund und Boden unterwegs ist, bei einem Waldbesitzer dagegen um einen Eigentümer, der das Recht hat, seine Flächen zu bewirtschaften. Natürlich kann man immer über die Art und Weise der Bewirtschaftung diskutieren, aber im Isartal muss Forstwirtschaft betrieben werden, um den Wald langfristig zu erhalten. Würden wir nicht eingreifen, würde im Schatten der dichten Kronen nicht genügend Verjüngung nachwachsen. Sobald der Altbestand sein maximales Lebensalter erreicht hat, würden die Bestände zusammenbrechen. In Folge wären vor allem an den steilen Hängen Erosionsschäden zu befürchten. Es geht also im oberen Isartal nicht vordergründig um Gewinnmaximierung, sondern darum, durch eine gelegentliche Ausdünnung des Bestandes mehr Licht auf den Waldboden durchdringen zu lassen. Denn nur mit richtig dosiertem Licht können beispielsweise Buchenkeimlinge in die Höhe wachsen und für eine Durchwurzelung des Bodens sorgen. Damit können Hangrutschungen verhindert werden, auch wenn alte Bäume absterben. Mit der Menge des Lichts, das auf den Waldboden fällt, kann ich zudem steuern, welche Baumarten ich in einem Gebiet haben möchte. Würde man nicht mit Licht nachhelfen, könnte sich beispielweise die Fichte stark ausbreiten. Sie würde dann andere Arten zurückdrängen.

Gelten für die Forstwirtschaft in einem FFH-Gebiet wie dem oberen Isartal eigentlich besondere Regelungen? Sprich, muss hier besonders umweltschonend gewirtschaftet werden?

Jein. Die Ausweisung eines FFH-Gebiets führt nicht automatisch zu Einschränkungen in der Bewirtschaftungsweise. Doch normalerweise werden FFH-Gebiete in besonders sensiblen Bereichen und Sonderstandorten ausgewiesen, daher sind häufig zum Beispiel Feuchtflächen oder auch Steilhängen betroffen. Die Forstwirtschaft hat ganz grundsätzlich den gesetzlichen Auftrag, nachhaltig und vor allem auch bodenschonend zu wirtschaften. Damit sind Kahlschläge an steilen Hängen verboten; auf feuchten Böden sind sie nicht nachhaltig. Erlaubt bzw. sinnvoll ist lediglich die Entnahme einzelner Stämme. Wie dies zu geschehen hat, um möglichst wenige Schäden zu verursachen, muss im Einzelfall entschieden werden. Dies kann per Hand, mit dem Pferd, mit einer Maschine oder in Sonderfällen auch mit einer Seilkrananlage gemacht werden. Auch die Jahreszeit spielt eine Rolle. Auf einem feuchten Boden kann es sinnvoll sein, Bäume im Sommer zu entnehmen, falls der Boden komplett trocken ist, oder im Winter, wenn der Boden gefroren ist.

Werden ausnahmslos alle Waldgebiete im oberen Isartal bewirtschaftet oder gibt es Ausnahmen?

Es gibt sehr wohl Ausnahmen, wie die Geuderleite bei Buchenhain, ein Naturwaldreservat, das gar nicht bewirtschaftet wird. Der ganze Isartalbereich ist jedoch auf eine langfristige Waldbewirtschaftung ausgelegt. Das heißt, es gibt keine intensive Nutzung mit dem Ziel den maximalen Zuwachs und auch keine Kahlhiebe, sondern lediglich eine Einzelstamm-Entnahme zum langfristigen Erhalt der Waldbestände.

Die Rodungen am westlichen Isarufer zwischen Großhesselohe und Pullach Ende 2013 riefen Proteste in der Bevölkerung hervor. Zu Recht?

Der Begriff „Rodung“ ist in diesem Zusammenhang falsch. Denn eine Rodung bedeutet, dass eine andere Nutzungsform angestrebt wird. Das war hier nicht der Fall. Man kann jetzt natürlich streiten über die Art und Weise, wie die Waldbewirtschaftung durchgeführt wurde, oder über einzelne Bäume, die zu Recht oder zu Unrecht gefällt wurden. Aber eines ist klar: Der Vorgang entsprach der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft. Diese muss dem Eigentümer zugestanden werden. Das Problem ist vielmehr, dass sich der Großteil der Bevölkerung bereits weit von der Urproduktion entfernt hat und solche Maßnahmen daher nur schwer bewerten kann. Deshalb muss die Bevölkerung dabei besser mitgenommen und aufgeklärt werden. Anfangs sehen solche Eingriffe für den Betrachter vielleicht hässlich und radikal aus, aber nach zwei Jahren sieht man davon nichts mehr, der Wald hat sich regeneriert.

Manche Besucher im Isartal finden es besonders problematisch, wenn bei der Holzernte Maschinen zum Einsatz kommen. Doch ein gut ausgebildeter Fahrer am Harvester kann mitunter weniger Schäden anrichten, als ein Arbeiter mit der Handfällung. Denn mit dem Harvester können wir die Fallrichtung einzelner Bäume gezielter lenken und damit bewusst entscheiden, wo falls erforderlich welche Schäden in Kauf genommen werden. Die gesetzlich vorgegebenen Rückewege fallen den Besuchern oft unangenehm auf. Auf einem Rückeweg werden natürlich Bodenschäden in Kauf genommen, allerdings nur in einem kleinen Bereich. Der übrigen Waldboden wird, im Gegensatz zu früheren Bewirtschaftungsmethoden, dafür geschont. Deshalb ist es auch problematisch für den Waldbesitzer, wenn durch die Freizeitnutzung gerade in den von ihm geschonten Bereichen Schäden und Bodenverdichtungen entstehen.

Es muss also immer der Einzelfall betrachtet werden, um zu entscheiden, welcher Eingriff wie durchgeführt werden soll. Entscheidend ist jedoch gerade im Isartal, die Bevölkerung besser über solche Maßnahmen aufzuklären, entweder über Presse, Bautafeln oder über gemeinsame Begehungen. Natürlich ist dies zeitaufwändig, aber wenn vorab aufgeklärt wird ist der Aufwand sicher geringer, als wenn im Nachgang Schadenbegrenzung betrieben werden muss. Hier hat bereits ein Umdenken der Waldbesitzer stattgefunden.

Was würden Sie persönlich vorschlagen, um das Natura-2000-Gebiet „Oberes Isartal“ als möglichst artenreichen Lebensraum zu erhalten? Müssen wir lediglich die Freizeitnutzung lenken oder gibt es auch in der Land- und Forstwirtschaft Verbesserungsmöglichkeiten?

Das Isartal ist ein Schmuckkästchen, das die Leute genießen sollen. Denn nur wer die Natur kennt und liebt, wird auch bereit sein, zu ihrem Schutz beizutragen. Insofern muss die Freizeitnutzung – auch das Mountainbiken – im Isartal erlaubt bleiben. Aber es ist wichtig, diese Form der Nutzung in Zukunft besser zu kanalisieren. Dazu brauchen wir Alternativrouten, um den Druck auf das Isartal zu reduzieren. Und zum Beispiel Nachtfahrten sollten in dem empfindlichen Naturraum unterbleiben.

Was die Land- und Forstwirtschaft anbelangt: Hier müssen wir gemeinsam mit den Eigentümern langfristige Konzepte entwickeln. In Zukunft sollten die Flächen nach einem Gesamtkonzept bewirtschaftet werden und nicht mehr Einzelmaßnahmen im Vordergrund stehen. Anreize hierfür könnte zum Beispiel auch eine vernünftige Förderung für die Eigentümer bieten. Denn wenn wir als Allgemeinheit mit Ansprüchen in Form von Auflagen an die Grundstückbesitzer herantreten, sollten wir sie auch entsprechend entschädigen.

Und eine letzte Frage: Was schätzen Sie am Isartal besonders?

Was mir besonders imponiert ist der Uhu, der im Isartal lebt. Ich bin ein großer Fan von Greifvögeln und finde es faszinierend, dass diese seltene Art so nahe am Ballungsraum München eine Heimat gefunden hat.


Hinweis:
Die hier veröffentlichten Beiträge sind Meinungsäußerungen und geben nicht in jedem Fall die Meinung sämtlicher Projektbeteiligter wieder.