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Interview mit Martin Hänsel

Von Martin Hänsel, stellvertretender Geschäftsführer bei der Kreisgruppe München des BUND Naturschutz in Bayern


Martin Hänsel
Martin Hänsel

Herr Hänsel, Sie sind passionierter Mountainbiker und arbeiten als stellvertretender Geschäftsführer bei der Kreisgruppe München des BUND Naturschutz in Bayern – ein Widerspruch?

Nein, nur weil man im Naturschutz engagiert ist heißt das noch lange nicht, dass man sich kasteien muss. All diejenigen, denen die Natur am Herzen liegt, sind gerne draußen unterwegs. Entscheidend ist vielmehr, wie man sich in der Natur verhält, ob man sensibel ist und sich auch einmal zurücknehmen kann oder ob man immer seine eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen muss. Ich persönlich ziehe für mich bestimmte Grenzen: Ich halte mich an Regeln, die vom Naturschutz vorgegeben werden, und folge dem gesunden Menschenverstand. Das heißt für mich konkret, beispielsweise die Nachtruhe im Wald zu akzeptieren und nicht durch moorige Böden zu fahren.

Wohin führte Sie Ihre letzte größere Mountainbiketour?

Ich bin schon fünfmal quer über die Alpen gefahren und fahre seit über zehn Jahren immer wieder längere Strecken in verschiedenen Teilen der Alpen. Meist bin ich dabei mit einer Gruppen von befreundeten Mountainbikern unterwegs. Ich glaube, gemeinsam waren wir schon fast im ganzen Alpenraum unterwegs.

Radfahren ist grundsätzlich eine umweltverträgliche Freizeitbeschäftigung, aber Mountainbiker werden von manchen als rücksichtslose Naturzerstörer wahrgenommen. Stellt das Mountainbiken wirklich ein Problem für die Natur dar?

Das schlechte Image kommt nicht von ungefähr. Auch ich ärgere mich, wenn mir Mountainbiker entgegenkommen, die scheinbar ihren Verstand im Tal gelassen haben. Es darf beispielsweise nicht sein, dass ein Mountainbiker mit hoher Geschwindigkeit auf eine stehende Gruppen zufährt, zumal wenn Kinder dabei sind. Viele verhalten sich ja richtig, aber einzelne rücksichtlose Deppen bringen die ganze Szene in Misskredit. Damit ist jeder von uns selbst verantwortlich für das Image der Mountainbiker in der Gesellschaft.

Für die Natur sind einzelne Fahrer ein eher geringes Problem. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob ein Reifenabdruck mehr Schaden anrichtet, als ein Fußabdruck, aber das sind eher Luxusprobleme. Problematisch wird es aber dann, wenn wir nicht über einzelne Moutainbiker reden, sondern über große Gruppen, wie beispielsweise im Isartal. Dann ist der Einzelne Teil eines Kollektivs und hat damit Gesamtverantwortung für den Freizeitdruck, der durch die gesamte Gruppe entsteht. Hier ist der Schaden um Potenzen höher.

Ende September haben Sie eine naturkundliche Tour für Mountainbiker im Isartal angeboten. Was macht das Isartal denn Ihrer Meinung nach so besonders?

Das Isartal ist ein Glücksfall für den Großraum München. Es verbindet die Alpen mit der Münchner Schotterebene und beherbergt eine unglaubliche Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen auf engstem Raum. Man müsste schon ein sehr großes Gebiet bereisen, um diese Vielfalt erleben zu können, die wir quasi vor der Haustür haben. Der Fluss ermöglicht die Wanderung verschiedener Tier- und Pflanzenarten und steht beispielhaft für die Dynamik in natürlichen und naturnahen Ökosystemen. Auf Grund dieser engen Verzahnung verschiedener Lebensräume und der Reichhaltigkeit von Tieren und Pflanzen ist das Isartal leider auch extrem empfindlich.

Bei ihrer Führung mit dem Rad blieben Sie bewusst auf dem Dammweg. Warum fuhren Sie nicht auf den Trails ins Gelände, dort wo Mountainbiker gerne fahren?

Mit der Führung sollte das Bewusstsein der Mountainbiker für die Schönheit und Besonderheit des Naturraums geschärft werden, aber wir wollten nicht Teil des Problems werden. Nachdem die unterschiedlichen Lebensräume im Isartal so eng miteinander verzahnt sind, ist das weit verzweigte Trailnetz in den Wäldern ein großes Problem. Denn die Wege zerschneiden die Lebensräume in viele kleine Einzelteile. Tieren können in der Regel gut mit Störungen leben, aber nur dann, wenn es auch ausreichend Rückzugsräume gibt. Die Vielzahl der Trails führt jedoch zu einer dauerhaften Störung in der ganzen Fläche.

Zudem besteht auf den Isartrails eine unmittelbare Gefahr für wechselwarme Tierarten, also für Amphibien und Reptilien, die sich auf den Wegen aufhalten, auf Grund ihrer Tarnung aber leicht übersehen werden. Und natürlich werden durch häufiges Befahren Wuzeln geschädigt und der Boden teilweise stark verdichtet. Möglicherweise gravierender als die unmittelbaren Schäden sind jedoch die mittelbaren Folgen der Freizeitnutzung, die sich aus der Verkehrssicherungspflicht ergeben. Natürlich kann man den Standpunkt vertreten, dass dafür die Stadt München verantwortlich ist, aber den Anstoß dafür geben natürlich die Nutzer, die Mountainbiker genauso wie die Trailrunner oder Spaziergänge, also alle, die ungeordnet im Gelände unterwegs sind.

Das Isartal ist ein sehr beliebter Freizeitraum. An sonnigen Tagen ist der Trubel auf dem Fluss und seinen Kiesbänken groß. Sind die Mountainbiker im Wald nicht das geringere Problem für den Naturraum?

Dem Wunsch der Gesellschaft, sich naturnah zu erholen, kann man sich nicht entziehen. Die Kiesflächen, auf denen die Münchnerinnen und Münchner so gerne grillen und feiern, wären natürlich ein wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Aber in diesem Fall müssen wir pragmatisch sein, diese Flächen sind für die Natur bereits verloren. Mit der Renaturierung der Isar in Stadtnähe wurde der Fluss mit seinen Kiesbänken so attraktiv gestaltet, dass man den Menschen nicht mehr fernhalten kann. Dazu müsste man einen Zaum aufstellen, aber das will natürlich niemand. Wir müssen also Kompromisse schließen. Wenn ein Teil der Flächen für die große Masse aufgegeben wird, sollten wir andere Teile für die Natur erhalten.

Natürlich ist die Anzahl derer, die vom Dammweg aus in die Wälder hinein gehen, geringer als diejenigen, die auf den Kiesbänken feiern. Aber mit dem Lärm vom Fluss können viele Tiere besser umgehen. Sie gewöhnen sich an die Störung, solange diese in einem begrenzten Bereich stattfindet und daneben noch Ruheräume vorhanden sind. Ganz scheue Arten wie etwa der Schwarzstorch würden sich bei dem Lärm natürlich nicht wohl führen. Aber andere Arten wie der Hirsch (der am südlichen Stadtrand im Isartal nicht vorkommt) können sehr wohl unterscheiden. Sie haben kein Problem damit, z.B. direkt neben einer viel befahrenen Bundesstraße zu äsen, weil der Straßenverkehr für sie kalkulierbar und damit keine Gefahr ist.

Auch die Müllberge auf den Kiesbänken werden immer wieder als Problem angeführt, das vor allem Griller verursachen, nicht aber Mountainbiker und Trailrunner. Natürlich ist der Müll ein gewisses Problem für die Natur, aber in allererster Linie ist er ein Problem für den Menschen. Wir nehmen dieses Problem stärker war, weil uns die Verschandelung der Landschaft selber stört.

Gibt es bestimmte Tier- oder Pflanzenarten, die durch das Befahren der Isartrails besonders bedroht sind?

Die Bestände vieler Reptilien wie Kreuzotter, Schlingnatter oder Ringelnatter, die im Gebiet flächig vorkommen, sind bereits rückläufig. Auch die Population des Waldlaubsängers geht zurück – nicht allein, aber sicher auch wegen der Störungen durch die Freizeitnutzung. Und die Waldschnepfe haben wir als Wintergast im Isartal schon lange nicht mehr gesehen. Durch die geplanten Verkehrssicherungsmaßnahmen der Stadt München wäre auch der Uhu als mittelbare Folge der Freizeitnutzung stark bedroht. Und wenn wegen überzogenem Sicherheitsdenken wirklich alte Bäume gefällt oder morsche Äste abgeschnitten werden würden, würden wir natürlich all diejenigen Arten verlieren, die von Totholz abhängig sind.

Sind auf Grund des hohen Freizeitdrucks bereits Arten verschwunden aus dem Isartal?

Wir wissen, dass die Waldschnepfe sehr empfindlich auf Störungen reagiert. Insofern gehen wir davon aus, dass die Freizeitnutzung dafür verantwortlich ist, dass sich die Vogelart nicht mehr im Isartal überwintert. Allerdings ist dies eher ein Indizienbeweis, aber kein wissenschaftlicher Nachweis.

Was würden Sie persönlich vorschlagen, um den Konflikt im Isartal zu entschärfen und ein Miteinander zwischen Naturschutz und Freizeitnutzung zu ermöglichen?

Wir Menschen finden das Isartal gerade deshalb so spannend, weil es anders ist als eine normale Parkanlage. Auch Parkanlagen sprechen uns an, aber sie bewegen uns selten emotional. Die naturnahe Landschaft im Isartal zieht uns in einer besonderen Art und Weise an, sie bringt eine andere Seite in uns zum Klingen. Wenn wir diese besondere Qualität erhalten wollen, müssen wir bereit sein, uns zurückzunehmen. Wir müssen akzeptieren, dass es besser ist, manche Freizeitaktivitäten an weniger sensible Orte zu verlagern. Ganz konkret heißt das, dass wir uns so wenig wie möglich in den steilen Hängen und den naturnahen Wäldern aufhalten sollen, um der Natur Rückzugsräume zu erhalten.


Hinweis:
Die hier veröffentlichten Beiträge sind Meinungsäußerungen und geben nicht in jedem Fall die Meinung sämtlicher Projektbeteiligter wieder.