Interview mit Christoph Göbel
Von Christoph Göbel, Landrat des Landkreises München
Christoph Göbel
Die Isar prägt die Stadt und den Landkreis München in besonderer Weise. Sie, Herr Landrat, verbrachten einen Teil Ihrer Kindheit am Mariahilfplatz in der Au. Welche Kindheitserinnerungen verbinden Sie mit dem Fluss?
Meine Erinnerung ist eigentlich durch und durch geprägt vom Auer Mühlbach, der hinter unserem Kindergarten (der Armen Schulschwestern am Mariahilfplatz) vorbeifließt und an dem Schwester Mirjam, die mich und meine Geschwister betreute, einen kleinen Tiergarten betrieb. Ich war dort oft auch nach der üblichen Kindergartenzeit, weil mein Vater, der Tierarzt ist, die Tiere betreute und ich ihn begleiten durfte. Alles ist mitten in der Stadt, aber meine Erinnerung ist gänzlich un-urban. Typisch München eben!
Weite Abschnitte der einstmals kanalisierten Isar wurden in den letzten Jahren durch Renaturierungsmaßnahmen aus dem Korsett befreit, zugänglich gemacht und naturnah umgestaltet. Wie empfinden Sie persönlich diese Wandlung des Flusses? Und welche Rolle spielt die Isar für den Wohn- und Wirtschaftsstandort München und Umland?
Das ist ein Riesengewinn für den Fluss, seine Flora und Fauna und für ganz München! Die Isar ist die Lebensader Münchens. Der renaturierte Flusslauf steht Pate für das Selbstverständnis Münchens als Ort, der die Verbindung von Leben, Arbeiten und Wohnen bestmöglich darstellen will. Insofern ist die Rolle der Isar sowohl für den Wohn-, als auch den Wirtschaftsstandort München auch vorgegeben und einer der wesentlichen Standortfaktoren. Als gebürtiger Münchner bin ich stolz darauf!
Eines Ihrer Mottos lautet „Wohnraum schaffen – Lebensraum erhalten“. Besteht angesichts stetig steigender Einwohnerzahlen nicht die Gefahr, dass die Natur im Großraum München zum reinen Spiel- und Spaßraum bzw. zur Event-Arena degradiert wird, dem aber der Schutz seltener und empfindlicher Tier- und Pflanzenarten sowie geschützter Biotope und Lebensräume entgegensteht?
Das darf nicht passieren. Wohnraum schaffen und dabei den Lebensraum erhalten schließen einander doch nicht aus. Wir als Landratsamt haben mit der unteren Naturschutzbehörde einen gesetzlichen Auftrag die Natur zu schützen und zu erhalten. Diesem müssen wir gerecht werden. Darüber hinaus sind Politik und Gesellschaft, aber auch der Einzelne gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Als Menschen haben wir hier eine ethisch-moralische Verpflichtung. Hierfür gilt es, gute Konzepte im gesellschaftlichen Konsens zu entwickeln. Jeder kann sich einbringen.
Für viele Menschen ist die Isar mit ihren renaturierten Abschnitten der Inbegriff von urbaner Wildnis, in der sie sich von den Regeln und Zwängen des gesellschaftlichen Lebens befreit sehen. In den letzten Jahren häufen sich nicht nur die Konflikte zwischen Naturschutz und Freizeitnutzung, sondern auch zwischen den jeweiligen Nutzergruppen. Immer wieder kommt es zu Beschwerden über das rücksichtslose Verhalten Einzelner.
Was möchten Sie den Menschen mit auf den Weg geben?
Ich darf hier den Philosophen Immanuel Kant zitieren, „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“. Nur wenn wir rücksichtsvoll miteinander umgehen, kommt jeder zu seinem Recht, auch die Natur mit Fauna und Flora. Wer nur an sein eigenes Vergnügen, die Erfüllung momentaner Bedürfnisse und Wünsche denkt, denkt zu kurzfristig. Was heute zerstört wird, kann man morgen nicht mehr genießen.
Naturschädliches Verhalten ist häufig das Ergebnis von Unwissenheit über die Sensibilität von Lebensräumen und Arten. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dem zu begegnen?
Hier sind wir ganz klar gefordert. Unwissenheit kann man nur mit Aufklärung entgegentreten. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mit intelligenter Öffentlichkeitsarbeit aufklären und für die Belange des Naturschutzes sensibilisieren. Natur muss persönlich erfahren werden und schonender Umgang mit der Natur muss erlernt werden. Dafür ist es nie zu spät. Zukunftsziel sollte jedoch eine konsequente Umweltbildung sein. Dafür muss schon früh begonnen werden, z.B. in den Schulen und im Elternhaus.
Das Isartal ist als FFH-Gebiet Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes NATURA 2000. Für seine geschützten Lebensräume und Arten besteht ein gesetzliches Verschlechterungsverbot. Mit dem Projekt „NaturErholung Isartal im Süden von München“ gehen die Landeshauptstadt und der Landkreis München neue Wege, um Erholungsnutzung und Naturschutz in einem FFH-Gebiet unter einen Hut zu bringen. Das Projekt kann dabei Vorbildcharakter sowohl in der Erholungslenkung wie auch beim Schutz von FFH-Gebieten im Umfeld von Ballungsräumen haben. Wie definieren Sie dabei die Rolle des Landkreises?
Wir haben eine sehr aktive Rolle. Wir wollen agieren nicht reagieren. Wir haben gemeinsam mit der Landeshauptstadt München einen Prozess angestoßen und halten diesen am Leben. So gesehen sind beide der Motor des Ganzen. Wir setzen dabei auf Aufklärung und ein offenes Miteinander. Als Behörde, die einen staatlichen Auftrag zu erfüllen hat, ständig zwischen den Interessengruppen zu vermitteln, war und ist eine Herausforderung, die wir gerne angenommen haben. Dieses Projekt in einem FFH-Gebiet innerhalb eines Ballungsraums ist etwas ganz besonderes und wir wollen außerhalb des Isartals Beispielgeber für andere Kommunen oder Landkreise sein, die vor ähnlichen Aufgaben stehen.
Ziel unseres Projektes ist die Erhaltung des Isartales sowohl als wichtigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen als auch als besondere Naturlandschaft für naturnahe Freizeitaktivitäten. Das Mountainbiken abseits von Wegen und in sensiblen Bereichen kann dabei zu erheblichen Naturbelastungen führen. Welche Erwartungen haben Sie als Landrat an das Projekt und speziell an die Mountainbikerinnen und Mountainbiker, deren Aktivitäten im Zentrum der ersten drei Projektjahre stehen?
Ich erwarte eigentlich nichts Unmögliches. Einfach erst denken, dann handeln und die Verantwortung für das eigene Tun übernehmen. Liebe Mountainbikerinnen und Mountainbiker, Sie üben einen faszinierenden Sport aus, reflektieren Sie, was Sie tun und üben Sie einen schonenden Umgang mit der Natur. Damit Sie und Ihre Sportskameraden, aber auch alle anderen Nutzergruppen und nicht zuletzt unser aller Kinder auch in Zukunft noch das Isartal genießen können. Von dem Projekt erwarte ich, dass wir es schaffen, die durchaus berechtigten Interessen der verschiedenen Gruppen und den Naturschutz im Isartal unter einen Hut zu bringen, so dass Konsens herrscht und im Interesse aller auf Verbote verzichtet werden kann.
Mit welchen Argumenten würden Sie Sportlern begegnen, die eine generelle Freigabe der Trails im Isartal fordern?
Ziele und Vorgaben des Naturschutzes sind verbindliche Staatsaufgaben zur Erhaltung von Natur- und Erholungsräumen für alle. Es ist in freier Landschaft eben nicht jederzeit alles möglich. Oder um Kant noch einmal zu bemühen, die Grenze liegt ganz klar dort, wo die Natur oder das Grundeigentum geschädigt wird oder andere in ihrem Erholungsrecht beeinträchtigt werden.
Welche Wünsche und/oder Forderungen haben Sie an die Projektpartner?
Ich wünsche mir eine konstruktive, offene und ehrliche Zusammenarbeit. Alle Projektpartner sollten kompromissbereit sein und Geduld mitbringen, damit wir gemeinsam gute und nachhaltige Lösungen erarbeiten.